SK 2021 129 - Widerhandlung gegen das Strassenverkehrsgesetz
Obergericht
des Kantons Bern
2. Strafkammer
Cour suprême
du canton de Berne
2e Chambre pénale
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Urteil
SK 21 129
Bern, 2. November 2021
Besetzung Obergerichtssuppleant Zbinden (Präsident i.V.),
Oberrichter Aebi, Oberrichter Schmid
Gerichtsschreiberin Michel
Verfahrensbeteiligte A.__
v.d. Rechtsanwalt B.__
Beschuldigter/Berufungsführer
gegen
Generalstaatsanwaltschaft des Kantons Bern, Nordring 8, Postfach, 3001 Bern
Gegenstand Widerhandlung gegen das Strassenverkehrsgesetz
Berufung gegen das Urteil des Regionalgerichts Emmental-Oberaargau (Einzelgericht) vom 11. Januar 2021 (PEN 20 227)
Erwägungen:
I. Formelles
Erstinstanzliches Urteil
Mit Urteil vom 11. Januar 2021 (pag. 154 ff.) erklärte das Regionalgericht Emmental-Oberaargau (Einzelgericht; nachfolgend: Vorinstanz) A.__ (nachfolgend: Beschuldigter) der groben Verkehrsregelverletzung, begangen am 26. August 2019, 09:45 Uhr, in Kirchberg, Utzenstorfstrasse, Fahrtrichtung Aefligen, durch Überschreiten der zulässigen Höchstgeschwindigkeit ausserorts von 60 km/h um 33 km/h schuldig und verurteilte ihn in Anwendung der einschlägigen Gesetzesbestimmungen zu einer Geldstrafe von 25 Tagessätzen zu CHF 140.00, ausmachend total CHF 3'500.00, wobei der Vollzug der Strafe aufgeschoben und die Probezeit auf zwei Jahre festgesetzt wurde. Weiter verurteilte die Vorinstanz den Beschuldigten zu einer Verbindungsbusse von CHF 700.00 mit Ersatzfreiheitsstrafe bei schuldhaftem Nichtbezahlen von fünf Tagen sowie zu den erstinstanzlichen Verfahrenskosten von CHF 2'420.00 (Ziff. I.1., I.2. und I.3. des erstinstanzlichen Urteilsdispositivs; pag. 154 f.).
Berufung
Gegen dieses Urteil meldete der Beschuldigte, vertreten durch Rechtsanwalt B.__, am 18. Januar 2021 (pag. 159) fristgerecht die Berufung an. Die schriftliche Begründung des erstinstanzlichen Urteils datiert vom 15. März 2021 (pag. 165 ff.). Die Berufungserklärung vom 1. April 2021 ging ebenfalls frist- und formgerecht beim Obergericht des Kantons Bern ein. Der Beschuldigte erklärte vollumfängliche Berufung gegen das Urteil, d.h. gegen den Schuldspruch, das Strafmass sowie die Kostenverlegung. Er beantragte einen Freispruch, unter Auferlegung der Verfahrenskosten an den Kanton Bern sowie Ausrichtung einer Parteientschädigung (pag. 198). Die Generalstaatsanwaltschaft verzichtete mit Eingabe vom 20. April 2021 auf die Teilnahme am oberinstanzlichen Verfahren (pag. 203 f.). Der Beschuldigte wurde am 18. Mai 2021 zur Berufungsverhandlung vom 2. November 2021 vorgeladen (pag. 204).
Oberinstanzliche Beweisergänzungen
In der Berufungserklärung vom 1. April 2021 stellte die Verteidigung den Beweisantrag auf Befragung des Beschuldigten sowie von dessen Ehefrau C.__ (pag. 198). Mit begründetem Beschluss vom 17. Mai 2021 wurde der Beweisantrag gutgeheissen (pag. 205). Gleichzeitig wurde der Beschuldigte aufgefordert, der Kammer seinen Terminkalender für die fragliche Zeit (Juni bis September 2019) einzureichen (pag. 206). Die Verteidigung vermeldete am 29. Juni 2021, unter Vorlage einer entsprechenden E-Mail-Korrespondenz, aus technischen Gründen lasse sich der (nur elektronisch geführte) Kalender für die fragliche Zeitspanne nicht mehr abrufen (pag. 217). Mit Verfügung vom 1. Juli 2021 (pag. 221 f.) wurde ebendiese E-Mail-Korrespondenz (pag. 218 f.) zu den Akten genommen. Im Hinblick auf die oberinstanzliche Verhandlung wurde zudem von Amtes wegen ein aktueller Strafregisterauszug, datierend vom 18. Oktober 2021, über den Beschuldigten eingeholt (pag. 223).
An der Berufungsverhandlung vom 2. November 2021 wurde C.__ als Auskunftsperson befragt (pag. 228 ff.). Der Beschuldigte wurde erneut zu seiner Person und zur Sache einvernommen (pag. 234 ff.). Die Verteidigung reichte die Dokumente «Auszug aus Portefeuille L.__ ab 26. August 2019» (Beilage 1) und «Abschlusskunden ab 26. August 2010 (recte 2019) mit Angabe Wohnort» (Beilage 2) ein, welche zu den Akten genommen wurden (pag. 247 ff.).
Anträge des Beschuldigten
Rechtsanwalt B.__ stellte und begründete namens und im Auftrag des Beschuldigten an der Berufungsverhandlung vom 2. November 2021 folgende Anträge (pag. 242 ff.):
1. Der Beschuldigte sei vom Vorwurf der groben Verkehrsregelverletzung, begangen am 26. August 2019, 09:45 Uhr, in Kirchberg, Utzenstorfstrasse, Fahrtrichtung Aefligen, durch Überschreiten der zulässigen Höchstgeschwindigkeit ausserorts von 60 km/h um 33 km/h freizusprechen.
2. Die erst- und zweitinstanzlichen Verfahrenskosten seien dem Kanton Bern aufzuerlegen.
3. Der Beschuldigte sei gemäss eingereichter Kostennote (vor erster und zweiter Instanz) zu entschädigen.
Verfahrensgegenstand und Kognition der Kammer
Die Rechtsmittelinstanz verfügt im Berufungsverfahren über volle Kognition (Art. 398 Abs. 3 der Schweizerischen Strafprozessordnung [StPO; SR 312.0]). Sie hat das erstinstanzliche Urteil im Rahmen der angefochtenen Punkte umfassend zu überprüfen (Art. 398 Abs. 2 StPO). Vorliegend ist das erstinstanzliche Urteil vollumfänglich angefochten worden. Da nur der Beschuldigte Berufung eingereicht hat, ist die Kammer an das Verschlechterungsverbot nach Art. 391 Abs. 2 StPO gebunden und darf das erstinstanzliche Urteil nicht zu dessen Nachteil abändern.
II. Sachverhalt und Beweiswürdigung
Vorwurf gemäss Strafbefehl vom 8. Juni 2020
Dem Beschuldigten wird gemäss Strafbefehl vom 8. Juni 2020 vorgeworfen, er habe am Montag, 26. August 2019, 09:45 Uhr, in Kirchberg, Utzenstorfstrasse, die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 60 km/h ausserorts nach Abzug der vom ASTRA festgelegten Geräte- und Messunsicherheit um netto 33 km/h überschritten und sich damit der groben Verkehrsregelverletzung gemäss Art. 90 Abs. 2 des Strassenverkehrsgesetzes (SVG; SR 741.01) schuldig gemacht (pag. 32). Der Strafbefehl gilt gemäss Art. 356 Abs. 1 Satz 2 StPO als Anklageschrift.
Allgemeine Grundlagen der Beweiswürdigung
Für die allgemeinen Grundlagen der Beweiswürdigung verweist die Kammer auf die zutreffenden Ausführungen der Vorinstanz (pag. 168, S. 4 erstinstanzliche Urteilsbegründung) und wiederholt bzw. ergänzt diese nur, soweit notwendig.
Unbestrittener und bestrittener Sachverhalt
Die Vorinstanz hielt in ihren Erwägungen fest, dass unbestritten und aufgrund des «Fallprotokolls – Geschwindigkeit» mit dem Radarfoto vom 26. August 2019, 09:45:41 Uhr (pag. 3), des Messprotokolls der Radar-Geschwindigkeitskontrolle vom 26. August 2019, 09:45 Uhr bis 10:30 Uhr (pag. 4) und des Eichzertifikats Nr. 258-31010 für das verwendete Radarmessmittel (pag. 5) erstellt sei, dass der Personenwagen BMW mit Kontrollschild Nr. D.__ am 26. August 2019 um 09:45 Uhr auf der Utzenstorfstrasse auf der Strecke Utzenstorf/Kirchberg – Aefligen, Fahrtrichtung Aefligen, mit einer Geschwindigkeit von 98 km/h statt der erlaubten 60 km/h gemessen wurde und damit (nach Abzug der Sicherheitsmarge von 5 km/h) um 33 km/h zu schnell unterwegs gewesen sei (pag. 141 Z. 11 ff.; pag. 145, 169, S. 5 erstinstanzliche Urteilsbegründung). Das Radarbild zeigt das Fahrzeug von hinten inkl. Nummernschild, nicht aber den Fahrer (pag. 3). Die Lenkerermittlungen ergaben, dass der Personenwagen BMW, E.__ (Modell), mit Kontrollschild Nr. D.__ zur Tatzeit auf den Beschuldigten als Halter zugelassen war und dieser auch als häufigster Lenker bei der F.__ Versicherung gemeldet war (pag. 104, 110), was der Beschuldigte vor der Vorinstanz als richtig bestätigte (pag. 141 Z. 21 – 32, pag. 145, 169, S. 5 erstinstanzliche Urteilsbegründung). Unbestritten ist gemäss Vorinstanz zudem, dass auf die Ehefrau des Beschuldigten ein G.__ (Automarke und Modell) mit Kontrollschild Nr. H.__ eingelöst ist und diese am 26. August 2019 als häufigste Lenkerin ebendieses Fahrzeugs eingetragen war (pag. 103, 110, 170, S. 6 erstinstanzliche Urteilsbegründung). Der Beschuldigte bestritt (implizit) bzw. durch seine Verteidigung, zum Tatzeitpunkt Lenker des BMW gewesen zu sein (pag. 51 Z. 26 ff., pag. 90, 141 Z. 1 ff., pag. 141 Z. 34 ff., pag. 142 Z. 7 ff., pag. 142 Z. 29 ff., pag. 143 Z. 28 ff., pag. 145 f., pag. 170, S. 6 erstinstanzliche Urteilsbegründung).
Somit ist auch im Berufungsverfahren zu klären, wer den BMW mit dem Kennzeichen D.__ zum Tatzeitpunkt gelenkt hat. Die Geschwindigkeitsmessung und die Haltereigenschaft sind weiterhin unbestritten (pag. 242) und der Beschuldigte macht geltend, zum Tatzeitpunkt nicht gefahren zu sein (pag. 235 Z. 22 ff., pag. 237 Z. 1 ff., pag. 239 Z. 19 ff., pag. 240 Z. 27 ff.). An der oberinstanzlichen Einvernahme machte der Beschuldigte erstmals geltend, dass auch die entgegengesetzte Fahrtrichtung möglich sein könnte (pag. 239 Z. 13). Dies, erklärte die Verteidigung, sei dem Umstand geschuldet, dass sich der Beschuldigte die Örtlichkeiten in den letzten Tagen nochmals angesehen habe. Die Bepflanzung, die auf dem Radarfoto zu sehen sei, sei nicht mehr vorhanden gewesen bzw. nur auf der Seite des Parkplatzes des Otto’s habe es Büsche gehabt. Im Messprotokoll stehe es anders geschrieben. Allerdings könnten es auch die Maispflanzen gewesen sein (pag. 242). Auf das neue Vorbringen des Beschuldigten betreffend die Fahrtrichtung wird nachfolgend im Rahmen der Beweiswürdigung eingegangen. Es kann vorweggenommen werden, dass sich dadurch an der unbestrittenen Geschwindigkeitsmessung sowie an der Kernfrage nichts ändert.
Beweismittel
Der Kammer liegen zur Beurteilung des vorliegenden Sachverhalts die Aussagen des Beschuldigten (pag. 10 ff., pag. 50 ff., pag. 139 ff., pag. 234 ff.) sowie die Aussagen von C.__ (pag. 135 ff., pag. 228 ff.) vor. Auf eine Zusammenfassung dieser Aussagen wird verzichtet. Es wird nur soweit notwendig im Rahmen der Beweiswürdigung auf konkrete Aussagen eingegangen.
Des Weiteren finden sich folgende Beweismittel in den Akten: Anzeigerapport der Kantonspolizei vom 5. Mai 2020 inkl. «Fallprotokoll – Geschwindigkeit», Messprotokoll, Eichzertifikat Nr. 258-31010 und Lenkerermittlung (pag. 1 ff.), Halterauskunft betreffend den Beschuldigten und dessen Ehefrau (pag. 101 ff.), Versicherungsbestätigung der Kontrollschilder Nrn. D.__ und H.__ (pag. 110), Google Maps Auszüge der Messörtlichkeit (pag 148 f.), E-Mail-Korrespondenz betreffend den Outlook Kalender (pag. 218 f.), Beilagen 1 und 2 (pag. 248 f.) und Strafregisterauszug vom 18. Oktober 2021 (pag. 223). Auch hier wird grundsätzlich auf die amtlichen Akten verwiesen und soweit notwendig im Rahmen der Beweiswürdigung auf die objektiven Beweismittel eingegangen.
Erwägungen der Vorinstanz
In Würdigung der Aussagen des Beschuldigten führte die Vorinstanz zusammenfassend folgendes aus (pag. 175 f., S. 11 erstinstanzliche Urteilsbegründung):
Insgesamt erscheinen die Aussagen des Beschuldigten bereits auf den ersten Blick nicht besonders glaubhaft, sondern eher vage, seltsam und teilweise nicht nachvollziehbar. Dies umso mehr, wenn man bedenkt, dass er selber eigentlich nicht gefahren sein will. Eine richtige Bestreitung seiner Lenkerschaft liegt jedoch ebenfalls nicht vor, sondern eben nur die vagen Vorbringen, dass auch die Ehefrau gefahren sein könnte, er aber auch gefahren sein könnte, dies nicht zu seinem Fahrstil passe und er sich das alles und die Indizien nicht erklären könne. Dass sämtliche Indizien auf ihn als Täter hinweisen würden, wollte sich der Beschuldigte nicht erklären können. Dieses Aussageverhalten – nach den ursprünglichen Aussageverweigerungen des Beschuldigten – erstaunt mit Blick auf seine Justizerfahrung, sein automobilistisches Vorleben und die drohenden Konsequenzen bei einer Verurteilung im vorliegenden Verfahren (Verlust des Führerausweises, auf den er für die Ausübung seiner Arbeitstätigkeit angewiesen ist, für mindestens zwei Jahre, was sehr wahrscheinlich zum Verlust der Arbeitsstelle führen würde) nicht. Entsprechend können die Aussagen des Beschuldigten nur mit Vorsicht verwertet werden.
Die Aussagen der Ehefrau seien ebenfalls nur mit Vorsicht zu verwerten; auch wenn sie einen guten automobilistischen Leumund habe und nicht justizerfahren scheine, habe sie nämlich eingeräumt, mit ihrem Ehemann über das vorliegende Verfahren gesprochen zu haben. Der Vorinstanz fiel insgesamt auf (pag. 177, S.13 erstinstanzliche Urteilsbegründung),
[…] dass die Ehefrau des Beschuldigten bei ihren Aussagen stets sehr vage geblieben ist. Zudem wollte sie offensichtlich ihre Täterschaft ebenfalls nicht einräumen, da ihr klar gewesen sein dürfte, was ihr damit blühen könnte […]. Auffallend ist aber auch, dass die Ehefrau des Beschuldigten eben gerade nicht bestätigt hat, dass sie das Auto regelmässig fährt, wie es der Beschuldigte versucht hat geltend zu machen. Sie hat einzig davon gesprochen, dass sie «manchmal» das Auto tauschen würden (pag. 135 Z. 27 ff.), wenn der Beschuldigte ein grösseres Auto brauche, z.B. zum Transport und/oder Entsorgen von grösseren Gegenständen (pag. 136 Z. 20 ff.). Würde sie den BMW tatsächlich im Schnitt etwa zweimal pro Woche fahren, wie es der Beschuldigte – notabene ebenfalls nach anfänglich ausweichender Antwort schliesslich geltend gemacht hat (vgl. pag. 141 Z. 38 ff.), wären ihre Aussagen anders ausgefallen.
Die Vorinstanz kam zum Schluss, dass keine mehr als theoretischen Zweifel gegen die Täterschaft des Beschuldigten sprächen (pag. 181 f., S. 17 f. erstinstanzliche Urteilsbegründung):
Zusammenfassend deuten folglich sämtliche aktenkundigen Indizien auf die Täterschaft des Beschuldigten bzw. lassen diese als sehr wahrscheinlich erscheinen. Dass die Ehefrau des Beschuldigten die Täterin der vorliegend in Frage stehenden Geschwindigkeitsüberschreitung gewesen sein soll, ist demgegenüber unwahrscheinlich. Die vorgebrachten Argumente, die für die Täterschaft der Ehefrau sprechen sollen, wurden allesamt widerlegt sind nicht nachvollziehbar unglaubhaft. In ihrer Gesamtheit erzeugen die vorliegenden Indizien nach dem Gesagten ein Bild, das bei objektiver Betrachtung keine Zweifel bestehen lässt, dass der Beschuldigte am Montag, 26.08.2019, um 09:45 Uhr der Lenker des BMW E.__ (Modell) mit dem Kontrollschild Nr. D.__ war und somit die angeklagte Geschwindigkeitsüberschreitung begangen hat. Die Einwände des Beschuldigten und der Verteidigung vermögen die Indizienkette nicht zu erschüttern.
Konkret sei der Beschuldigte Halter und häufigster Lenker des BMW. Er bestreite seine Lenkereigenschaft am 26. August 2019 nicht definitiv. Das auf die Ehefrau eingetragene grössere Fahrzeug werde wohl als Familienauto im Zusammenhang mit der Tochter genutzt. Der BMW sei demgegenüber ein typisches repräsentatives Geschäftsauto, welches eben auf den I.__ (Berufsbezeichnung) zugeschnitten sei. Tatzeitpunkt sei ein Werktag zur normalen Arbeitszeit. Der Beschuldigte habe nicht explizit bestritten, allenfalls auch Kunden aus der näheren Umgebung im Kanton T.__ betreut zu haben. Hätte der Beschuldigte am fraglichen Tag keine anderweitige Termine gehabt, hätte er dies anlässlich der ersten Einvernahmen geltend gemacht und entsprechende Belege eingereicht. Sowohl der Beschuldigte (für die Arbeit) als auch die Ehefrau (für Familie etc.) hätten am fraglichen Tag «Autobedarf» gehabt. Die Messörtlichkeit sei gemäss Messprotokoll 100m vor der Verzweigung Industrie Neuhof aufgestellt gewesen, also etwas in der Mitte des Aldi-Parkplatzes, und der BMW sei dort mit netto 93km/h statt der erlaubten 60 km/h gemessen worden. Dies zeige, dass der BMW nicht etwa aus dem hinteren Bereich der Industriezone (Mutoni) gekommen sein könne, ebensowenig vom Otto’s. Das spreche für die notabene auch vom Beschuldigten dargestellte These, dass der Lenker von der Solothurnstrasse her auf die Utzenstorfstrasse eingebogen sei und dann beschleunigt habe. Der Vorfall passe auch zum früheren Fahrverhalten des Beschuldigten, nicht jedoch zu demjenigen der Ehefrau (pag. 178 ff., S. 14 ff. erstinstanzliche Urteilsbegründung).
Vorbringen des Beschuldigten
Die Verteidigung machte geltend, auch die Ehefrau des Beschuldigten fahre das «geblitzte» Fahrzeug regelmässig und komme daher als Lenkerin in Frage (pag. 90). Die Messung an sich werde nicht beanstandet. Es bestünden zwar gewisse Indizien für eine Täterschaft des Beschuldigten (Halter- und Lenkereigenschaft), allerdings gebe das Foto von der Kontrolle keinen Aufschluss über die Täterschaft und es sei keine Anhaltung erfolgt. Aus der plausibel erklärten anfänglichen Aussageverweigerung des Beschuldigten könne nichts gegen ihn gefolgert werden. Die Art der Aussagen des Beschuldigten und seiner Ehefrau habe nicht den Anstrich einer Inszenierung. Ein Fahrzeugtausch unter den Ehegatten habe regelmässig (ca. zwei Mal pro Woche) stattgefunden. Die Ehefrau habe in der Gegend der Kontrolle auch regelmässig eingekauft. Es sei nicht nachvollziehbar, weshalb der Beschuldigte an diesem Montagmorgen nicht an seinem Arbeitsort bzw. in der Region des Arbeitsortes gewesen wäre. Auch aus dem Vorleben des Beschuldigten der Art der SVG-Widerhandlung lasse sich nicht schliessen, dass nicht etwa auch die Ehefrau das Delikt begangen haben könnte (pag. 145 f.).
In der Berufungserklärung vom 1. April 2021 liess der Beschuldigte durch seine Verteidigung erneut ausführen, seine Ehefrau komme als Lenkerin in Frage. An der Berufungsverhandlung führte die Verteidigung zu den Indizien, aufgrund derer die Vorinstanz die Täterschaft des Beschuldigten als erstellt erachtete, Folgendes aus:
Die Haltereigenschaft sei unbestritten. Allerdings könne diese höchstens einen ersten «Träf» liefern. In dem von der Vorinstanz herangezogenen Urteil des Bundesgerichts 6B_243/2018 vom 6. Juli 2018 habe der Halter keine konkreten Angaben gemacht, wer gefahren sei, und zudem habe ein Zeuge das Alter und Geschlecht des Fahrers angeben können. Dies sei vorliegend nicht der Fall. Der Beschuldigte habe gesagt, dass seine Ehefrau als Lenkerin in Frage komme. Dass der Vater Schwiegervater am fraglichen Tag gefahren sei, sei nicht konkret vorgebracht worden. Diese würden so selten fahren, dass man es noch gewusst hätte. Anders die Ehefrau, die am Montag jeweils frei habe und öfters in der Region unterwegs sei, auch mit dem BMW (pag. 242).
Weiter habe die Vorinstanz das Aussageverhalten des Beschuldigten zu Unrecht sehr negativ gewürdigt. Dem Beschuldigten werde vorgeworfen, die Aussage verweigert zu haben, obwohl ihm klar gewesen sei, worum es gehe. Allerdings sei nicht erwiesen, dass auf der Vorladung zur Einvernahme bei der Polizei das Thema angegeben gewesen sei. Auch habe sein Mandant heute bestätigt, dass er erst vom Polizisten erfahren habe, worum es gehe, aber er habe seine Aussage verweigert. Bei der Staatsanwaltschaft habe er die Aussage auf Anraten seiner Rechtsschutzversicherung verweigert. An der erstinstanzlichen Hauptverhandlung habe sein Mandant dann aber Ausführungen gemacht, insbesondere, dass seine Ehefrau in Frage komme und dass der Montag sein Bürotag sei (pag. 242 f.).
Schliesslich habe die Vorinstanz von einem vorbelasteten automobilistischen Leumund aufgrund mehrerer Widerhandlungen gegen das SVG in den Jahren 2004 bis 2013 gesprochen. Diese Ereignisse seien mehrere Jahre her. Der Beschuldigte habe mittlerweile Familie und eine Tochter, er sei ein verantwortungsvoller Vater und beruflich auf das Auto angewiesen. In den letzten Jahren sei er nicht negativ aufgefallen. Er sei kein Rasertyp. Gemäss Vorinstanz sei der BMW auf einen I.__ (Berufsbezeichnung) geradezu zugeschnitten und dies ein Indiz, dass sein Mandant gefahren sei. Diese Begründung sei gesucht und stereotypenbehaftet. Es handle sich beim Fahrzeug des Beschuldigten um einen normalen BMW, in welchem zudem ein Kindersitz montiert sei, und der auch von der Ehefrau als Familienwagen benutzt werde (pag. 243).
Der Beschuldigte habe ausgesagt, er mache am Montagmorgen nie Kundenbesuche, dies sei sein Bürotag. Der Beilage 1 lasse sich entnehmen, dass sein Mandant am 26. August 2019 um 11:30 Uhr einen Abschluss gemacht habe. Ein weiterer Abschluss sei gleichentags um 13:09 Uhr erfolgt. Wie sein Mandant gesagt habe, erledige er diese Aufgaben typischerweise montags im Büro. Dies seien Indizien, dass der Beschuldigte am 26. August 2019 im Büro gearbeitet habe. Schon vor erster Instanz habe der Beschuldigte ausgesagt, dass seine Kunden in der Region M.__ seien und nicht in Kirchberg Aefligen. Dies ergebe sich auch aus der Beilage 2. Dort seien die Kundenbesuche aufgelistet, die unmittelbar zuvor stattgefunden hätten. Keiner dieser Kunden sei in der Region Kirchberg wohnhaft. Diese Unterlagen habe man jetzt noch nachreichen können, wobei er sich bewusst sei, dass dies kein «lucky punch» sei. Der Kalender des Beschuldigten sei leer gewesen und andere Unterlagen seien nicht lieferbar (pag. 243 f.).
Sein Mandant habe keinen Grund gehabt, am 26. August 2019, einem Arbeitstag ohne Kundenbesuch, in der Industriezone Neuhof unterwegs zu sein. Auch befinde sich der Arbeitsort des Beschuldigten nicht in «unmittelbarer Nähe» des Tatorts, wie im erstinstanzlichen Urteil geschrieben worden sei. Demgegenüber sei es gut nachvollziehbar, dass die Ehefrau des Beschuldigten an ihrem freien Wochentag Einkäufe getätigt und sich in der Region Kirchberg, Industrie Neuhof, aufgehalten habe. Es spreche nichts dagegen, dass sie damals mit dem BMW unterwegs gewesen sei und einen «Aussetzer» gehabt habe, vielleicht davon ausgehend, dass es sich um einen 80er und nicht um einen 60er handle. Zwar sei es nur eine kurze Strecke vor dem Einbieger in die Industriezone, aber es sei nicht unmöglich, auf dieser Strecke derart zu beschleunigen. Sein Mandant habe gesagt, dass er nie nach Aefligen fahre. Hierfür gebe es auch keinen Grund. Es könne nicht zweifelsfrei davon ausgegangen werden, dass er zum Tatzeitpunkt gefahren sei. Darum sei der Beschuldigte nach dem Grundsatz in dubio pro reo freizusprechen (pag. 244).
Würdigung durch die Kammer
0.1 Vorbemerkung zum automobilistischen Leumund
Die Vorinstanz berücksichtigte den «vorbelasteten automobilistischen Leumund» des Beschuldigten bei der Würdigung seiner Aussagen und verwertete Letztere «mit Vorsicht» (pag. 170 ff., pag. 181, S. 6 ff., S. 17 erstinstanzliches Urteil). Aufgrund des nunmehr blanken Strafregisterauszugs des Beschuldigten (pag. 223) verzichtet die Kammer auf eine entsprechende Berücksichtigung.
0.2 Geschwindigkeitsmessung
Klar ist, dass der BMW des Beschuldigten zum Tatzeitpunkt mit zu hoher Geschwindigkeit in der Gemeinde Kirchberg «geblitzt» worden ist. Dass diese Messung technisch falsch sein sollte, wurde nicht geltend gemacht und ist aus den Akten auch nicht ersichtlich. An der Berufungsverhandlung brachte der Beschuldigte indessen erstmals vor, der BMW könnte auch in die Gegenrichtung gefahren sein (pag. 238 Z. 11 ff., pag. 239 Z. 12 ff.). Diese Aussage wurde von der Verteidigung im Rahmen ihres Parteivortrags sogleich wieder relativiert (vgl. E. 8 hiervor). Auf dem Radarfoto (pag. 3) ist der BMW zu sehen, der soeben ein in Fahrtrichtung rechts stehendes Maisfeld passiert hat. Anschliessend an das Maisfeld folgt ein freies Feld bzw. ein Feld mit tiefwüchsiger Bepflanzung und im Hintergrund ein Wald. Gemäss Messprotokoll (pag. 4) fand die Radarkontrolle auf der Strecke zwischen Aefligen und Utzenstorf, Utzenstorfstrasse, auf Höhe des Parkplatzes des Otto’s statt. Die Fahrtrichtung war von Utzenstorf/Kirchberg her kommend in Richtung Aefligen. Die Strasse war rechtsseitig unbebaut, linksseitig locker bebaut und circa 100m nach der Messstelle folgte eine Einmündung nach links, was auch auf dem Ortsplan (pag. 148) ersichtlich ist. Diese Angaben ergeben ein in sich stimmiges Bild des Messortes und es besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben im Messprotokoll zu zweifeln. Es ist wahrscheinlich, dass das Maisfeld Ende Oktober bzw. Anfang November, als sich der Beschuldigte den Tatort nochmals angesehen hat, nicht mehr stand und somit das vom Beschuldigten gesehene Bild nicht gänzlich mit dem Radarfoto übereinstimmt. Dieser Widerspruch ist ohne weiteres erklärbar und die neuste These des Beschuldigten, die auch von der Verteidigung relativiert worden ist, als Schutzbehauptung zu werten. Für die Kammer ist damit erstellt, dass die Fahrtrichtung von Utzenstorf/Kirchberg her kommend in Richtung Aefligen korrekt ist.
0.3 Vorbemerkungen zur Rechtsprechung des Bundesgerichts
Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung kann die Haltereigenschaft bei ei-nem Strassenverkehrsdelikt, das von einem nicht eindeutig identifizierbaren Fahr-zeuglenker begangen worden ist, ein Indiz für die Täterschaft sein. Das Gericht kann im Rahmen der Beweiswürdigung ohne Verletzung der Unschuldsvermutung zum Schluss gelangen, der Halter habe das Fahrzeug selber gelenkt, wenn dieser die Tat bestreitet und sich über den möglichen Lenker ausschweigt. Nichts anderes kann gelten, wenn der Halter zwar Angaben zum Lenker macht, diese aber unglaubhaft gar widerlegt sind (Urteil des Bundesgerichts 6B_243/2018 vom 6. Juli 2018 E. 1.4.2 mit Hinweisen).
Beweise bzw. Indizien sind in ihrer Gesamtheit zu würdigen. Liegen keine direkten Beweise vor, ist nach der Rechtsprechung auch ein indirekter Beweis zulässig. Beim Indizienbeweis wird aus bestimmten Tatsachen, die nicht unmittelbar rechtserheblich, aber bewiesen sind (Indizien), auf die zu beweisende, unmittelbar rechtserhebliche Tatsache geschlossen. Eine Mehrzahl von Indizien, welche für sich alleine nur mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit auf die Täterschaft die Tat hinweisen und einzeln betrachtet die Möglichkeit des Andersseins offen lassen, können einen Anfangsverdacht verstärken und in ihrer Gesamtheit ein Bild erzeugen, das bei objektiver Betrachtung keine Zweifel bestehen lässt, dass sich der Sachverhalt so verwirklicht hat (Urteile des Bundesgerichts 6B_1427/2016 vom 27. April 2016 E. 3 und 6B_948/2016 vom 22. Februar 2017 E. 2.2). Der Indizienbeweis ist dem direkten Beweis gleichgestellt und vollgültiger Beweis. Es ist zulässig, aus der Gesamtheit der verschiedenen Indizien, welche je für sich allein betrachtet nur mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit auf eine bestimmte Tatsache Täterschaft hindeuten und insofern Zweifel offen lassen, auf den vollen rechtsgenügenden Beweis von Tat Täter zu schliessen. Der Indizienprozess als solcher verletzt weder die Unschuldsvermutung noch die aus ihr abgeleiteten Teilrechte. Der Grundsatz in dubio pro reo findet auf das einzelne Indiz keine Anwendung (Urteile des Bundesgerichts 6B_282/2018 vom 24. August 2018 E. 1.4 und 6B_885/2017 vom 20. Dezember 2017 E. 3.2).
0.4 Haltereigenschaft
0.4.1 Halterindiz
Aufgrund der unbestrittenen Haltereigenschaft gilt zunächst einmal das Halterindiz, wonach davon ausgegangen werden kann, dass in der Regel der Halter auch der Lenker eines Fahrzeuges ist. Dass der Beschuldigte auch tatsächlich am häufigsten mit dem BMW unterwegs war, ist ebenfalls unbestritten und ergibt sich einerseits aus den Versicherungsunterlagen (pag. 110) sowie den Aussagen des Beschuldigten (pag. 139 Z. 25 f., 141 Z. 26-32, Z.42 ff., pag. 236 Z. 6 ff.) und seiner Ehefrau (pag. 135 Z. 27 ff., pag. 229 Z. 12 ff.).
Der Beschuldigte wurde ein erstes Mal am 7. Oktober 2019 durch die Polizei befragt, dies unter Bekanntgabe der festgestellten Tempoüberschreitung vom 26. August 2019. Damals, wie auch in der Einvernahme bei der Staatsanwaltschaft vom 27. August 2020, verweigerte er grundsätzlich die Aussage zum Vorgang selber und zur Lenkerschaft (pag. 10 ff., 51). Der Beschuldigte bestritt nicht explizit, am 26. August 2019 gefahren zu sein, insinuierte jedoch mittels Eingabe vom 19. November 2020 durch seine Verteidigung (pag. 90), dass auch seine Ehefrau als Fahrerin grundsätzlich in Frage komme. Diese Argumentationslinie nahm er an der Hauptverhandlung vom 11. Januar 2021 wieder auf (pag. 141 Z. 16 ff., Z. 34 ff.), ergänzt um die Angabe, dass auch sein Vater bzw. Schwiegervater manchmal mit seinem Auto herumfahren würden (pag. 141 Z. 34 ff., 142 Z. 1 ff.). Somit führte der Beschuldigte zwar ins Feld, dass auch andere Personen, insbesondere seine Frau, mit dem BMW fahren würden, konkret sagte er aber nicht, dass eine dieser Personen am besagten Montag damit gefahren wäre. Insgesamt bleibt er in seinen Aussagen sehr vage, insbesondere, wenn er ausführt (pag. 143 Z. 28 ff.): «Dies kann allen passieren. Es passt aber weder zum Verhalten meiner Ehefrau noch von mir. Niemand ist ausgeschlossen.»
In der Berufungserklärung ist wiederum nur die Rede von den Eheleuten J.__, welche beide als Lenker des BMW in Frage kämen (pag. 198). Entsprechend gab der Beschuldigte an der Berufungsverhandlung zu Protokoll, dass es vorkomme, dass sein Vater bzw. vor allem sein Schwiegervater mit dem BMW fahre – allerdings sei das so selten, dass er es noch wüsste, wenn dies am 26. August 2019 der Fall gewesen wäre (pag. 236 Z. 12 ff.). Der Beschuldigte brachte nunmehr eine Auswahl von denkbaren Gründen vor, warum er und seine Ehefrau jeweils das Auto tauschten, nämlich, wenn er Karton PET entsorge, ihr Auto tanke ein Servicetermin anstehe (pag. 235 Z. 39 ff., pag. 236 Z. 1 ff.). Es sei aber schon so, dass er im Jahr 2019 am meisten mit dem BMW gefahren sei (pag. 236 Z. 6 ff.). Auffallend ist, dass der Beschuldigte seine Frau erst an der Berufungsverhandlung und auf Nachfrage explizit beschuldigte, gefahren zu sein. So sagte er, es sei wirklich unklar gewesen, wer gefahren sei. Auf Frage, ob es denn jetzt klar sei, sagte er: «Von mir aus ja.». Und auf weitere Nachfrage: «Von mir aus ist meine Frau gefahren.» (pag. 240 Z. 24 ff.).
Der Beschuldigte bestreitet nur implizit, das Auto gefahren zu sein und bezeichnet seine Ehefrau als Lenkerin – dies so explizit allerdings erst in der Berufungsverhandlung und auf Nachfrage. Dadurch ist das Halterindiz, entgegen der Vorbringen der Verteidigung, nicht widerlegt. Vielmehr scheint es, dass der Beschuldigte die theoretische Möglichkeit, wonach seine Ehefrau gefahren ist, immer wieder vorbrachte, um von seiner Person abzulenken. Dass die Ehefrau den BMW zur Tatzeit tatsächlich lenkte, ist, wie nachfolgend aufgezeigt wird, unglaubhaft.
0.4.2 Aussagen der Ehefrau
Wie die Vorinstanz festhielt, ist bei der Würdigung der Aussagen der Ehefrau im Hinterkopf zu behalten, dass sie gemäss eigenen Angaben mit ihrem Ehemann über das vorliegende Verfahren gesprochen hat (pag. 136 Z. 7 ff., pag. 231 Z. 13 ff., pag. 176, S. 12 erstinstanzliche Urteilsbegründung). Vor erster Instanz sagte die Ehefrau des Beschuldigten aus, ihr Ehemann fahre seinen Arbeitsweg mit dem BMW, es komme aber manchmal vor, dass sie und ihr Ehemann ihre Autos tauschten (pag. 135 Z. 27 ff.). Demgegenüber sagte der Beschuldigte vor erster Instanz, die Ehefrau fahre den BMW durchschnittlich zwei Mal pro Woche (pag. 141 Z. 38 ff.) bzw. an der Berufungsverhandlung, sie fahre ein bis zwei Mal pro Woche mit dem BMW (pag. 236 Z. 6 ff.). Die Ehefrau führte aus, der Beschuldigte benutze den grösseren G.__ (Automarke und Modell), wenn er z.B. Karton entsorgen müsse (pag. 136 Z. 20 ff., pag. 229 Z. 12 ff.). Es gebe immer einen ganzen Haufen zu entsorgen, so dass dies fast jede Woche geschehe (pag. 231 Z. 10 f.). Eine derartige Situation wurde für den Tatzeitpunkt dennoch nicht explizit vorgebracht. Diese Aussagen sind nicht eindeutig; während die Ehefrau gemäss Aussagen des Beschuldigten mindestens einmal wöchentlich mit dem BMW fährt, kommt dies gemäss Aussagen der Ehefrau höchstens einmal wöchentlich vor.
Auf Frage, wann sie die fragliche Strecke fahre, antwortete die Ehefrau des Beschuldigten, es habe dort einen Mutoni und Otto’s, wo sie oft hingehe (pag. 136 Z. 17 f.). Wenn man von Utzenstorf kommmend rechts einbiege, sei dort gleich der Otto’s, dann könne man links zum Aldi einbiegen und, wenn man am Aldi vorbei weiterfahre, komme der Mutoni (pag. 231 Z. 3 ff.). Wenn sie hingegen zu Conforama Ikea gehe, biege sie, von Utzenstorf kommend, nicht rechts ein und fahre nicht an Aldi und Otto’s vorbei, sondern geradeaus weiter über die Umfahrungsstrasse (pag. 230 Z. 43 ff., pag. 231 Z. 1).
Auf Frage, ob die Ehefrau zum Tatzeitpunkt den BMW gefahren sei, gab sie am 11. Januar 2021 zu Protokoll, dies könne sie nicht sagen. Es könne gut möglich sein aber sie könne dies nicht bestätigen (pag. 136 Z. 25 ff.). Auf Vorhalt, dass es sich beim Tatzeitpunkt um einen normalen Wochentag zur normalen Arbeitszeit handelte und es viel wahrscheinlicher sei, dass ihr Ehemann den BMW zu diesem Zeitpunkt gelenkt habe, antwortete sie: «Da es ja ein Montag war, habe ich an diesem Tag nie gearbeitet. Ich habe am Montag immer die Einkäufe erledigt, da ich an diesem Tag immer frei hatte. Es ist schwierig zu sagen, ob ich an diesem Montag gefahren bin nicht.» (pag. 136 Z. 31 ff.). Der Vorinstanz ist insofern beizupflichten, als dass die Ehefrau in ihren Aussagen sehr vage geblieben ist und ihre Täterschaft ebenfalls nicht einräumen wollte (pag. 177, S. 13 erstinstanzliche Urteilsbegründung). Vor oberer Instanz führte die Ehefrau aus, montags habe sie meistens frei, mache den Wocheneinkauf kaufe Möbel bei Ikea Conforama (pag. 229 Z. 25 ff.). Auf Frage, ob sie zum Tatzeitpunkt gefahren sei, sagte sie, dies könne wahrscheinlich sein, weil es ja der Weg sei, wo sie einkaufen gehe, allerdings könne sie es nicht sagen (pag. 229 Z. 38 ff.). Auf Vorhalt, dass «möglich» und «wahrscheinlich» nicht dasselbe bedeuteten, gab sie an, dass dies für sie das Gleiche sei (pag. 233 Z. 1 ff.). Weiter gab sie an, wenn sie mit dem BMW gefahren wäre, wäre dies wahrscheinlich gewesen, weil ihr Mann das grössere Auto genommen hätte, um Karton PET zu entsorgen weil er ihr Auto hätte tanken müssen. Am fraglichen Ort hätte sie sich aufgehalten, um einkaufen zu gehen, wobei sie in der Regel ihre (damals gut zweijährige) Tochter dabei habe (pag. 229 Z. 43 ff., pag. 230 Z. 1 ff., 37 ff.). Weiter führte sie aus: «Ich glaube die Hauptstrasse ist 80, dann muss von 80 auf 60 runter und dann rechts abbiegen Richtung Otto’s/Mutoni/Aldi. Ich glaube, wenn man da rein fährt (Richtung Otto’s/Mutoni/Aldi) hat man das Gefühl, dass man dort wieder beschleunigen kann, was aber falsch ist.» (pag. 230 Z. 12 ff.). Es sei denkbar, dass man nach dem Abbiegen von der Solothurnstrasse auf die Utzenstorfstrasse nochmals beschleunige, bevor dann der Abzweiger in Richtung Aldi, Otto’s und Mutoni komme (pag. 230 Z. 18). Auf Vorhalt, dass eine derartige Beschleunigung kurz vor dem besagten Abzweiger auf knapp 100 km/h schlecht vorstellbar sei, führte sie aus, dass man mit dem BMW schnell zu schnell fahre, da erwische sie sich manchmal schon, dass sie zu zügig fahre und abbremsen müsse (pag. 232 Z. 22 ff.). Auf nochmalige Nachfrage gab sie an, dann sei sie sicherlich nicht zum Otto’s gefahren, wenn sie auf Höhe des Parkplatzes des Otto’s eine Geschwindigkeit von netto 93 km/h gehabt hätte. Auf Frage, ob sie denn mit 100 km/h geblitzt wurde und dann weiter zum Aldi gefahren sei, antwortete sie, sie könne es nicht erklären (pag. 232 Z. 29 ff.).
0.4.3 Fazit
Zusammengefasst lautet die Erklärung der Ehefrau, warum sie gefahren ist, wie folgt: Am besagten Montag hat sie den BMW des Beschuldigten genommen, weil dieser womöglich Karton PET entsorgt ihr Auto getankt hat. Sie ist zum Otto’s, Aldi Mutoni einkaufen gegangen, womöglich mit ihrer Tochter auf dem Kindersitz, und dabei auf Höhe des Otto’s Parkplatzes mit netto 93 km/h geblitzt worden. Für die Kammer ist schlicht nicht glaubhaft, dass die Ehefrau des Beschuldigten ein derartiges Fahrmanöver hingelegt hat. So müsste sie entweder von der Solothurnstrasse her kommend, rechts auf die Utzenstorfstrasse abgebogen sein und dann derart beschleunigt haben, dass sie auf der Höhe des Parkplatzes Otto’s netto 93 km/h erreicht hätte, um sodann nach ca. 100m wieder abzubremsen und links in Richtung Aldi und Mutoni abzubiegen. Noch unwahrscheinlicher ist die Variante, wonach sie vom Otto’s kommend links auf die Utzenstorfstrasse abgebogen und geblitzt worden ist (vgl. pag. 181, S. 17 erstinstanzliche Urteilsbegründung). Weiter gilt es zu beachten, dass die Ehefrau die Höchstgeschwindigkeit nicht geringfügig überschritten hätte (wie es einem schnell passieren könne [pag. 232 Z. 22 ff.]), sondern netto 33 km/h zu schnell gefahren wäre. Zudem könnte die Geschwindigkeitsüberschreitung auch nicht im Fahrfluss geschehen sein, wenn sie wirklich so gefahren wäre, wie vorgebracht. Folglich muss davon ausgegangen werden, dass der Lenker des BMW von der Solothurnstrasse rechts auf die Utzenstorfstrasse eingebogen ist, Otto’s, Aldi und Mutoni passiert hat und weiter in Richtung Aefligen gefahren ist. Damit ist die von der Ehefrau vorgebrachte These, wonach sie an diesem Montag mit dem BMW ihres Mannes bei Aldi, Otto’s Mutoni einkaufen gegangen und daher die Lenkerin gewesen sei, nicht glaubhaft bzw. widerlegt. Folglich hat das Halterindiz weiterhin zu gelten. Dieses wird durch die nachfolgend darzulegenden Indizien gestützt.
0.5 Ortskenntnisse
Der Beschuldigte wohnt in K.__ und sein Büro bei der L.__ (SA) befindet sich in M.__. Im Büro plane er seine Woche und empfange auch Kunden. Hauptsächlich sei er aber im Büro, wenn er keine Kundentermine habe. Da er im Aussendienst tätig sei, besuche er Kunden vor Ort. Er betreue die Region P.__ (versch. Ortsagaben im Kanton Q.) (pag. 139 Z. 17 ff., pag. 234 Z. 25 ff., pag. 236 Z. 31 ff.). Auf Frage führte er aus, es komme auf jeden Fall vor, dass er Kunden im angrenzenden T.__ (Kantonsgebiet) habe, aber nicht nur in T.__. Es könne gut sein, dass er Kunden ausserhalb seines Gebiets habe und dass es mit solchen Externen zu einem Vertragsabschluss komme. Diese würde er auch vor Ort besuchen gehen (pag. 236 Z. 40 ff.). Dass der Beschuldigte gerade nicht nur im Kanton Q.__ unterwegs ist, ergibt sich auch aus der Beilage 2 (pag. 249), wonach er u.a. Verträge mit Kunden in R.__ (Ort im Kanton R.) und S.__ (Ort im Kanton S.) abgeschlossen hat. Dass der Messort nicht in der gewöhnlichen Arbeitsregion des Beschuldigten liegt (pag. 142 Z. 29 ff., pag. 179, S. 15 erstinstanzliche Urteilsbegründung), schliesst somit nicht aus, dass der Beschuldigte zum Tatzeitpunkt beruflich unterwegs war und den Messort mit seinem BMW passierte.
Der Beschuldigte sagte vor der Vorinstanz von sich aus, dass der Lenker von der Solothurnstrasse kommend rechts auf die Utzenstorfstrasse abgebogen sein müsse und die Überschreitung wohl in einer Beschleunigungsphase geschehen sei (pag. 141 Z. 11 ff.). Diese Aussage hinterlässt einerseits den Eindruck, dass der Messort dem Beschuldigten gut bekannt war und andererseits, dass er mehr zum Vorfall weiss, als er zugeben will. Dass der Beschuldigte, darauf angesprochen, vorbringt, dies seien rein theoretische Überlegungen gewesen und sogleich die These nachschiebt, das Auto könnte ja vielleicht auch in die Gegenrichtung gefahren sein (pag. 238 Z. 4 ff.), ist fragwürdig und nicht glaubhaft. Vielmehr bestätigt sich der Eindruck der Vorinstanz, dass die Aussagen des Beschuldigten (wiedergegeben auf pag. 174 f., S. 10 f. erstinstanzliche Urteilsbegründung), «nicht besonders glaubhaft, sondern eher vage, seltsam und teilweise nicht nachvollziehbar [sind]. Dies umso mehr, wenn man bedenkt, dass er selber eigentlich nicht gefahren sein will.» (pag. 175, S. 11 erstinstanzliche Urteilsbegründung).
Angesprochen auf den fraglichen Streckenabschnitt führte der Beschuldigte an der Berufungsverhandlung aus, er kenne diesen schon. Er sei auch schon mit seiner Frau im Mutoni gewesen, er habe gute Ortskenntnisse, sei ja schon eine Zeit lang auf der Strasse und kenne die Strecke auf jeden Fall (pag. 236 Z. 20 ff.). Auf Vorhalt, dass, wenn man dort beschleunige, nachdem man von der Solothurnstrasse rechts auf die Utzenstorfstrasse abgebogen sei, man weiter geradeaus wolle und nicht links zum Otto’s, Lidl (recte Aldi) Mutoni, behauptet der Beschuldigte, er sei dort, seit er Auto fahre, noch nie geradeaus gefahren und wüsste gar nicht, zu welchem Dorf er dann kommen würde. Auch seine Frau würde sicher nie dort durch fahren, wenn, dann nur bis zum Mutoni Lidl (recte Aldi) und wieder zurück (pag. 239 Z. 19 ff.). Auch diese plötzliche Vehemenz ist nicht glaubhaft und steht im Widerspruch zu seinen bisherigen Aussagen. Der Beschuldigte scheint die Strecke sowie das darauf folgende Dorf (Aefligen) zu kennen, sprach er doch mehrmals von der «Industriezone Aefligen», wo er sich nicht aufgehalten haben will (pag. 142 Z. 29 ff., pag. 235 Z. 22 ff.). Diese Aussagen würdigt die Kammer dahingehend, dass dem Beschuldigten der Streckenabschnitt der Geschwindigkeitsmessung sowie der weitergehende Strassenverlauf bekannt war und er diese Strecke schon einmal gefahren sein muss, ansonsten hätte er die örtlichen Gegebenheiten sowie das Rechtsabbiegen und die Beschleunigungsphase so nicht vorgebracht.
0.6 Büroanwesenheit
Auf Vorhalt der Vorinstanz, wonach die Widerhandlung an einem normalen Werktag zur üblichen (Büro-)Arbeitszeit begangen worden ist und es daher viel wahrscheinlicher sei, dass der Beschuldigte den BMW in Ausübung seiner Arbeitstätigkeit gelenkt habe, meinte dieser: «Dies kann ich auch nicht ganz nachvollziehen, warum Sie das so denken. Es kann durchaus möglich sein. Sie sagen 09:45 Uhr, mein Büro befindet sich in M.__ und ich arbeite in M.__ und Umgebung. Wir sprechen hier von Aefligen, Industrie. Ich verstehe nicht ganz, warum Sie dies so interpretieren. Es könnte möglich sein. Aber ich habe auch im Kalender nachgeschaut und festgestellt, dass ich an diesem Tag keine Termine eingetragen hatte. Was soll ich sagen…» (pag. 142 Z. 29 ff.). Vor oberer Instanz brachte der Beschuldigte vor, er könne sich nicht vorstellen, an einem Montagmorgen in der Industriezone Aefligen unterwegs gewesen zu sein. Stand heute sei er sogar sehr überzeugt, dass er an dem Morgen – so wie fast jeden Montagmorgen – in seinem Büro gesessen sei. Leider habe er seinen Outlook-Kalender aus technischen Gründen nicht mehr aufrufen können. Er habe aber, als er von der Geschwindigkeitsübertretung erfahren habe, den Kalender konsultiert und darin keine Einträge gehabt (pag. 235 Z. 22 ff.).
In Würdigung dieser Aussagen hält die Kammer zunächst fest, dass der Beschuldigte nicht schon vor der Vorinstanz sagte, dass der Montag sein Bürotag sei, wie die Verteidigung dies vorgebrachte (pag. 243). Stattdessen wurde diese Aussage erstmals an der Berufungsverhandlung nachgeschoben. Des Weiteren kann der Vorinstanz insofern Recht gegeben werden, als dass nicht ganz nachvollziehbar ist, dass sich der Beschuldigte am 11. Januar 2021 auf seinen leeren Terminkalender beruft (pag. 142 Z. 36 ff.), es aber versäumt, diesen vorzuweisen (pag. 237 Z. 29 ff., pag. 238 Z. 1 f.) und schliesslich am 29. Juni 2021 vorbringt, aus technischen Gründen sei dies nicht mehr möglich (pag. 217, pag. 239 Z. 1 ff.). Allerdings wäre dem Outlook-Kalender ohnehin keine allzu grosse Beweiskraft beizumessen, da dieser wohl auch im Nachhinein bearbeitet werden kann, wie es der Beschuldigte selbst vorbringt (pag. 240 Z. 15 ff.).
An der Berufungsverhandlung machte der Beschuldigte bezüglich der Beilagen 1 und 2 (pag. 248 f.) geltend, ihm sei leider erst vor Kurzem in den Sinn gekommen, dass er hätte rausfiltern können, was er im Tatzeitpunkt für Verträge verbucht habe. Das habe er nun für den 26. August 2019 getan. Man sehe im Portefeuille (Beilage 1; pag. 248), dass er um 11:30 Uhr einen Vertrag verbucht habe. Er habe – wie jeden Montagmorgen – eine Nachbearbeitung eines Vertrags gemacht und dies verbucht. Dies beweise, dass er an jenem Montagmorgen auf jeden Fall im Büro gewesen sei. In der Beilage 2 (pag. 249) sei der Wohnort der in der Beilage 1 aufgelisteten Kunden zu sehen, was zeige, dass seine Bewegungen auf diese Orte beschränkt gewesen seien (pag. 237 Z. 1 ff.). Überdies habe die Verbuchung um 11:30 Uhr einige Zeit an Vorarbeit bedingt, es sei also nicht so, dass er erst um 11:20 Uhr ins Büro gekommen sei (pag. 237 Z. 18 ff.).
Diese Beilagen erachtet die Kammer als nicht relevant. Allein schon aufgrund der zeitlichen Verhältnisse kann der Beschuldigte daraus nichts zu seinen Gunsten ableiten: Die Geschwindigkeitsmessung fand am 26. August 2019 um 09:45 Uhr auf der Utzenstorfstrasse statt (pag. 3 f.). Die erste Vertragsverbuchung machte der Beschuldigte an jenem Tag um 11:30 Uhr. Dazwischen liegen eine Stunde und 45 Minuten. Dies ist genügend Zeit, in der der Beschuldigte einen Kundentermin in der Umgebung des Tatorts wahrnehmen, zurück nach M.__ ins Büro fahren und die notwendige Büroarbeit für den zu verbuchenden Abschluss hätte verrichten können. Auch die Angabe der Wohnorte in der Beilage 2 hilft dem Beschuldigten nicht weiter. Wie dieser selbst einräumte, dokumentieren die Vertragsabschlüsse gerade nicht die wahrgenommenen Kundentermine, sondern eben nur die im System verbuchten Abschlüsse (pag. 237 Z. 13 ff.). Dies schliesst nicht aus, dass der Beschuldigte an jenem Montagvormittag einen Kundentermin in der Region Kirchberg/Aefligen anderswo hatte, wozu er die fragliche Strecke passiert hat, und geblitzt worden ist. Zudem lieferte der Beschuldigte nur eine Momentaufnahme der Vertragsverbuchungen in der Zeit vom 26. August bis 6. September 2019, womit ein Kundentermin am 26. August 2019, der womöglich erst nach dem 6. September 2019 gar nicht verbucht worden ist, weiterhin denkbar ist.
0.7 Aussageverhalten des Beschuldigten
0.7.1 Vorbemerkungen zur Rechtsprechung des Bundesgerichts
Das Bundesgericht hat sich bereits verschiedentlich mit der Frage auseinandergesetzt, inwiefern die Verweigerung der Aussage einem Halter zum Nachteil gereichen kann, wenn sein Fahrzeug in eine Geschwindigkeitsüberschreitung involviert ist. Dabei führte es zunächst aus, gemäss der Unschuldsvermutung als «Beweislastregel» (Art. 32 Abs. 1 der Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft [BV; SR 101] sowie Art. 6 Ziff. 2 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten [EMRK; SR 0.101]) obliege es vollumfänglich und ausschliesslich der Anklagebehörde, den Nachweis für die Schuld des Beschuldigten zu erbringen, und nicht dem Beschuldigten, seine Unschuld zu beweisen (Urteil des Bundesgerichts 1P.641/2000 vom 24. April 2001 E. 2; deutsche Übersetzung in: Pra 90 (2001) Nr. 110). Als «Beweiswürdigungsregel» ergebe sich der Grundsatz, dass sich das Gericht nicht von der Existenz eines für den Beschuldigten ungünstigen Sachverhalts überzeugt erklären dürfe, wenn bei objektiver Betrachtung erhebliche und nicht zu unterdrückende Zweifel bestünden, ob sich der Sachverhalt so verwirklicht habe (Urteil des Bundesgerichts 6B_439/2010 vom 29. Juni 2010 E. 5.5). Im Einzelnen sei es damit unzulässig, einfach von einem Schweigen auf die Schuld des Beschuldigten zu schliessen (Urteil des Bundesgerichts 1P.641/2000 vom 24. April 2001 E. 3). Gleichzeitig schliesse das Schweigen die Täterschaft nicht aus, wenn diese nicht zweifelhaft sei (6B_571/2009 vom 28. Dezember 2009 E. 3.1).
0.7.2 In concreto
Gemäss Vorinstanz habe der Beschuldigte mit «nachgeschobener, nicht nachvollziehbarer Begründung von seinem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch gemacht». Letzteres, führte die Vorinstanz richtigerweise aus, sei aber sein gutes Recht und dürfe nicht zu seinen Lasten ausgelegt werden (pag. 178, S. 14 erstinstanzliche Urteilsbegründung). Dass der Beschuldigte seine Aussage bei der Polizei sowie – auf Anraten seiner Rechtsschutzversicherung – bei der Staatsanwaltschaft verweigert hat, wird ihm von der Kammer jedenfalls nicht negativ angelastet. Eine Würdigung seiner Aussagen vor erster und zweiter Instanz ist ohne Weiteres möglich. Wie oben stehende Ausführungen gezeigt haben, blieben die Aussagen des Beschuldigten in Bezug auf die konkrete Tat sehr vage und unbestimmt. Auf genauere Nachfrage wurde der Beschuldigte fahrig stürzte sich in unglaubwürdige Erklärungen (pag. 141 Z. 1-19, pag. 142 Z. 29 ff., pag. 140 Z. 14 ff., pag. 142 Z. 40 ff., pag. 143 Z. 19 ff., pag. 237 Z. 29 ff., pag. 238 Z. 4 ff., pag. 239 Z. 10-37). Insgesamt sind die Ausführungen des Beschuldigten nicht glaubhaft, weshalb nicht darauf abgestellt werden kann.
0.8 Beweisergebnis
Das Ausgangs-Indiz, dass der Halter des BMW auch dessen Fahrer ist, wird durch weitere Indizien wie die widersprüchliche und unglaubwürdige Erklärung der Ehefrau, warum sie den BMW gefahren sein sollte, sowie die nachgeschobene und nicht substantiierte Behauptung, der Beschuldigte sei an jenem Montagvormittag im Büro in M.__ gewesen, gestützt. Deshalb kommt die Kammer zum einzig denkbaren Schluss, dass der Beschuldigte die Geschwindigkeitsüberschreitung beging. Die Kammer schliesst sich im Ergebnis der Vorinstanz an und ist überzeugt, dass der Beschuldigte den BMW mit dem Kennzeichen Nr. D.__ am 26. August 2019, 09:45 Uhr, gelenkt und dabei die Tempoüberschreitung um 33 km/h in Kirchberg, Utzenstorfstrasse, begangen hat.
III. Rechtliche Würdigung
Rechtliche Ausführungen
Bezüglich der massgeblichen rechtlichen Ausführungen zur groben Verletzung der Verkehrsregeln kann auf die Ausführungen der Vorinstanz (pag. 182, S. 18 erstinstanzliche Urteilsbegründung) verwiesen werden, die da lauten:
Nach Art. 32 Abs. 2 SVG beschränkt der Bundesrat die Geschwindigkeit der Motorfahrzeuge auf allen Strassen. Wer durch grobe Verletzung der Verkehrsregeln eine ernstliche Gefahr für die Sicherheit anderer hervorruft in Kauf nimmt, wird gemäss Art. 90 Abs. 2 SVG mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren Geldstrafe bestraft. Der objektive Tatbestand von Art. 90 Abs. 2 SVG ist nach der Rechtsprechung erfüllt, wenn der Täter erstens eine wichtige Verkehrsvorschrift in objektiver schwerer Weise missachtet und zweitens dadurch die Verkehrssicherheit ernstlich gefährdet. Zu den wichtigen bzw. grundlegenden Verkehrsvorschriften gehört unter andern auch jene über die Geschwindigkeit (Weissenberger, Kommentar Strassenverkehrsgesetz und Ordnungsbussengesetz, 2. Aufl., Dike Verlag AG, Zürich/St. Gallen 2015, Art. 90 N 62 f.). Subjektiv erfordert der Tatbestand ein rücksichtsloses sonst wie schwerwiegend verkehrsregelwidriges Verhalten, d.h. ein schweres Verschulden. Dieses ist bei Vorsatz, einschliesslich Eventualvorsatz, bei grober Fahrlässigkeit gegeben (Weissenberger, a.a.O., Art. 90 N 68 ff.). […] Gemäss herrschender Lehre ist eine Geschwindigkeitsüberschreitung ausserorts ab 30 km/h als schwere Verkehrsregelverletzung einzustufen und somit nach Art. 90 Abs. 2 SVG zu sanktionieren (Weissenberger, a.a.O., Art. 32 N 6). Wer die zulässige Höchstgeschwindigkeit ausserorts von 80 km/h um 30 km/h mehr überschreitet, begeht ungeachtet der konkreten Umstände objektiv eine schwere Verkehrsregelverletzung (BGE 124 II 259 Regeste).
Subsumtion
Der Beschuldigte überschritt am 26. August 2019 um 09:45 Uhr in Kirchberg, Utzenstorfstrasse (ausserorts) in Fahrtrichtung Aefligen mit dem Personenwagen, Marke BMW, Kontrollschild Nr. D.__, die signalisierte Höchstgeschwindigkeit von 60 km/h um 33 km/h. Es liegt offensichtlich ein Verstoss gegen Art. 32 Abs. 2 SVG i.V.m. Art. 4a Abs. 5 Verkehrsregelverordnung (VRV; SR 741.11) vor.
In Anbetracht der Tatsache, dass der Beschuldigte die signalisierte Höchstgeschwindigkeit um 33 km/h – und damit massiv – überschritt, liegt im Sinne der zuvor aufgeführten bundesgerichtlichen Rechtsprechung objektiv eine grobe Verkehrsregelverletzung nach Art. 90 Abs. 2 SVG vor. Im Gegensatz zur Vorinstanz erachtet die Kammer die Annahme einer blossen Inkaufnahme einer Tempoüberschreitung im Sinne eines Eventualvorsatzes als nicht korrekt. Vielmehr ist auf Grund der massiven Geschwindigkeitsüberschreitung sowie der Tatsache, dass dem Beschuldigten die Strecke bekannt gewesen ist, darauf zu schliessen, dass er mit Wissen und Wollen, also vorsätzlich gehandelt hat.
Folglich sind die objektiven und subjektiven Tatbestandselemente von Art. 90 Abs. 2 SVG erfüllt. Es sind weder Rechtfertigungs- noch Schuldausschlussgründe ersichtlich. Der Beschuldigte ist der groben Verkehrsregelverletzung, begangen durch Überschreitung der signalisierten Höchstgeschwindigkeit von 60 km/h ausserorts um 33 km/h, schuldig zu sprechen.
IV. Strafzumessung
Allgemeine Grundlagen der Strafzumessung
Betreffend die allgemeinen Grundlagen der Strafzumessung kann auf die korrekten Ausführungen der Vorinstanz verwiesen werden (pag. 183, S. 19 erstinstanzliche Urteilsbegründung).
Strafrahmen
Art. 90 Abs. 2 SVG sieht für eine grobe Verletzung der Verkehrsregeln einen Strafrahmen von drei Tagessätzen Geldstrafe bis zu drei Jahren Freiheitsstrafe vor (vgl. Art. 34 und 40 des Schweizerischen Strafgesetzbuches [StGB; SR 311.0]).
Die Richtlinien des Verbands Bernischer Richterinnen und Richter, Staatsanwältinnen und Staatsanwälte, Stand 1. Januar 2019 (nachfolgend VBRS-Richtlinien), empfehlen für ein Überschreiten der signalisierten Höchstgeschwindigkeit nach Abzug der technisch bedingten Sicherheitsmarge ausserorts um 30 – 34 km/h eine Sanktion von 25 Strafeinheiten. Bei einer Überschreitung von 35 – 39 km/h wird eine Sanktion von 35 Strafeinheiten empfohlen (S. 22 VBRS-Richtlinien).
Die Kammer hat das Verschlechterungsverbot zu beachten (vgl. E. 5 hiervor). Sie darf die vorinstanzlich ausgesprochene bedingte Geldstrafe von 25 Tagessätze zu CHF 140.00, ausmachend CHF 3'500.00, sowie die Verbindungsbusse von CHF 700.00 mit Ersatzfreiheitsstrafe bei schuldhaftem Nichtbezahlen von 5 Tagen nicht erhöhen.
Konkrete Strafzumessung
0.1 Tatkomponenten
Im Rahmen der objektiven Tatkomponenten ist zu berücksichtigen, dass der Beschuldigte an einem Montagvormittag um 09:45 Uhr bei schönem Wetter und trockener Strasse (pag. 4) mit einer Geschwindigkeit von netto 93 km/h (nach Abzug der Sicherheitsmarge von 5 km/h) fuhr, wobei eine Höchstgeschwindigkeit von 60 km/h signalisiert war. Die Geschwindigkeitsbegrenzung ausserorts auf 60 km/h wurde, wie die Vorinstanz ausführte (pag. 184, S. 20 erstinstanzliche Urteilsbegründung), vorgenommen, weil sich auf der Strecke die Zufahrten zum anstossenden Industriegebiet Neuhof sowie zu diversen Einkaufsläden befinden und das Gefährdungspotential dementsprechend höher ist (vgl. pag. 148). Da die Strafempfehlungen für Geschwindigkeitsüberschreitungen ausserorts gemäss den VBRS-Richtlinien typische 80er-Ausserortszonen betreffen, ist es vorliegend gerechtfertigt, die Strafempfehlung für die Geschwindigkeitsüberschreitung von 33 km/h – entsprechend dem höheren objektiven Tatverschulden – zu überschreiten.
Vorsätzliches und rücksichtsloses Handeln sind tatbestandsimmanent und wirken in Bezug auf die subjektiven Tatkomponenten nicht verschuldenserhöhend. Der Beschuldigte handelte aus rein egoistischen Beweggründen; es wäre ein Leichtes gewesen, sich an die signalisierte Geschwindigkeit zu halten und somit die Tat zu vermeiden.
Insgesamt ist innerhalb des Strafrahmens aufgrund der Tatkomponenten von einem – immer im Rahmen einer groben Verkehrsregelverletzung – leichten Verschulden auszugehen. Die Kammer erachtet mit Blick auf die VBRS-Richtlinien und die Gesamtumstände 35 Strafeinheiten als angemessen. Die 35 Strafeinheiten (in Abweichung von den VBRS-Richtlinien) rechtfertigen sich umso mehr, als das Verschulden gesamthaft aufgrund des direkten Vorsatzes etwas höher liegt, als bei der Vorinstanz, die von Eventualvorsatz ausgegangen ist.
0.2 Täterkomponenten
Der Beschuldigte ist N.__ (Land) Staatsangehöriger mit einer C-Niederlassungsbewilligung (pag. 8), arbeitet als I.__ (Berufsbezeichnung) im Aussendienst, ist verheiratet und hat eine Tochter (geb. O.__ [pag. 117]). Die (aktuellen) persönlichen Verhältnisse sind in Ordnung und als neutral zu werten. Aktuell präsentiert sich der Strafregisterauszug des Beschuldigten (anders noch als bei der Vorinstanz, vgl. pag. 15, 98) blank, weshalb in oberer Instanz die Vorstrafensituation nicht mehr als straferhöhendes Element berücksichtigt werden darf, sondern sich neutral auswirkt (Mathys Hans, Leitfaden Strafzumessung, 2. Aufl. 2019, N 328). Entsprechend wird der getrübte automobilistische Leumund des Beschuldigten auch nicht unter Berücksichtigung seiner eigenen diesbezüglichen Aussagen berücksichtigt, womit auf den von der Vorinstanz diesbezüglich vorgenommenen Zuschlag von 5 Strafeinheiten zu verzichten ist.
Der Vorinstanz kann gefolgt werden, soweit sie das Verhalten des Beschuldigten nach der Tat und im Strafverfahren als neutral bezeichnete. Dass der Beschuldigte seine Aussage bei der Polizei und Staatsanwaltschaft verweigerte und die Täterschaft bis zuletzt bestritt, kann ihm nicht negativ angelastet werden. Allerdings liegt auch keine strafreduzierend zu berücksichtigende Reue Einsicht vor. Deren Fehlen zeigt sich namentlich darin, dass er an der oberinstanzlichen Verhandlung in Bezug auf frühere SVG-Widerhandlungen zu Protokoll gab, es sei «meistens auch ein bisschen Pech» gewesen er sei «zur falschen Zeit am falschen Ort» gewesen (pag. 235 Z. 18 ff.).
Ebenso ist der Vorinstanz zu folgen, wenn sie die Strafempfindlichkeit des Beschuldigten – bezogen auf die hier zur Diskussion stehende Strafe – als durchschnittlich bezeichnete. Sodann führte sie aus, dass die weiteren Straffolgen den Beschuldigten ausserordentlich hart treffen würden. Da dieser bereits in den Jahren 2010 und 2011 wegen grober Verkehrsregelverletzungen verurteilt worden sei und gegen ihn deswegen zwei Mal Administrativmassnahmen wegen schweren Widerhandlungen verfügt worden seien, drohe ihm nun gestützt auf Art. 16c Abs. 2 Bst. d SVG ein erneuter Führerausweisentzug auf unbestimmte Zeit, mindestens aber für zwei Jahre. Für den Beschuldigten, der als I.__ (Berufsbezeichnung) im Aussendienst auf seinen Führerausweis angewiesen sei, werde dies sehr wahrscheinlich zur Folge haben, dass er seine Arbeitsstelle verlieren werde, was mit 10 Strafeinheiten strafmindernd zu berücksichtigen sei (pag. 185 f., S. 21 f. erstinstanzliche Urteilsbegründung).
Diesen Ausführungen kann sich die Kammer nicht anschliessen. Dass die Vorinstanz die dem Beschuldigten drohende ausserstrafrechtliche Sanktion des Führerausweisentzuges berücksichtigt, ist grundsätzlich möglich. Allerdings hat sich eine Strafreduktion wegen eines Führerausweisentzuges in einem beschränkten Mass zu halten. Ihr Umfang richtet sich namentlich nach der Intensität der damit verbundenen Beeinträchtigung sowie nach der Schwere und Art der Straftat. Wer sich massiv über grundlegende Verkehrsregeln hinwegsetzt, muss von vornherein in Kauf nehmen, nicht nur strafrechtlich, sondern auch administrativrechtlich zur Verantwortung gezogen zu werden. Ist dem Beschuldigten der Ausweis in der Vergangenheit bereits einmal entzogen worden, deutet dies darauf hin, dass er sich durch die Administrativmassnahme nicht beeindrucken lässt, weshalb sie nicht derart einschneidend sein kann, dass sie bei der Strafzumessung ins Gewicht fallen müsste (Mathys, a.a.O., N 381 ff.).
An der Berufungsverhandlung stand noch nicht fest, ob eine bzw. welche Administrativmassnahme droht. Allerdings sieht die vom Beschuldigten selbst dargestellte Situation nicht so schwarz aus, wie von der Vorinstanz gezeichnet. So führte der Beschuldigte auf Frage, was bei einem Schuldspruch ein allfälliger Führerausweisentzug für ihn bedeuten würde, aus, dass er im schlimmsten Fall seinen Job nicht mehr ausüben könnte. Allerdings könnte er auch vom Büro aus arbeiten und seine Kunden dort empfangen telefonisch beraten, was heutzutage aufgrund der Coronasituation ohnehin oft gemacht werde. Es müsse nicht sein, dass er den Job verliere. Der Arbeitgeber wisse von dem Strafverfahren (pag. 238 Z. 17 ff.). Überdies habe der Beschuldigte seinen Ausweis schon einmal abgeben müssen und sei dann über ein Jahr mit dem öffentlichen Verkehr arbeiten gegangen (pag. 140 Z. 5 ff.). Letztlich kann in der vorliegenden Konstellation offen bleiben, ob tatsächlich auf Grund der möglicherweise drohenden Administrativmassnahme eine Strafminderung vorzunehmen ist nicht. Selbst wenn den Beschuldigten ein Führerausweisentzug träfe, dürfte hierfür höchstens ein Abzug von 5 Strafeinheiten zur Diskussion stehen, womit 30 Strafeinheiten schuldangemessen wären. Würde man auf den Abzug verzichten, bliebe es auf Grund des Verschlechterungsverbotes bei diesen 30 Strafeinheiten als Resultat und nicht 35 Strafeinheiten.
0.3 Strafart
Mit der Vorinstanz ist aufgrund des Tatverschuldens, der konkreten Strafhöhe wie auch des heute makellosen Strafregisters davon auszugehen, dass nur eine Geldstrafe in Frage kommt. Auf Grund des Verschlechterungsverbotes könnte die Strafkammer ohnehin nicht auf Freiheitsstrafe erkennen. Der Beschuldigte ist folglich grundsätzlich zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu verurteilen.
0.4 Tagessatzhöhe
Gemäss Art. 34 Abs. 2 StGB beträgt ein Tagessatz höchstens CHF 3‘000.00. Das Gericht bestimmt die Höhe des Tagessatzes nach den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen des Täters im Zeitpunkt des Urteils, namentlich nach Einkommen und Vermögen, Lebensaufwand, allfälligen Familien- und Unterstützungspflichten sowie nach dem Existenzminimum (vgl. auch Urteil des Bundesgerichts 6B_712/2017 vom 23. Mai 2018 E. 5).
In Bezug auf die wirtschaftlichen Verhältnisse ergibt sich aus den erhobenen Steuerdaten, dass das satzbestimmende Einkommen des Beschuldigten im Jahr 2018 CHF 92'197.00 und dasjenige seiner Ehefrau CHF 34'077.00 betrug (pag. 29). Die Ehefrau des Beschuldigten gab am 11. Januar 2021 an, sie verdiene aktuell brutto CHF 3'450.00 pro Monat (pag. 135). Der Beschuldigte meinte gleichentags, sein Einkommen bewege sich ungefähr im gleichen Rahmen wie im Jahr 2018 (pag. 139). An der Berufungsverhandlung führte die Ehefrau zu ihren aktuellen finanziellen Verhältnissen aus, sie verdiene brutto CHF 3'200 und netto CHF 2'900.00 (pag. 230 Z. 32 ff.). Der Beschuldigte gab zu Protokoll, er wisse nicht, was er als Monatseinkommen angeben solle. Das Jahreseinkommen der letzten Jahre betrage im Durchschnitt brutto CHF 100'000 (inkl. 13. Monatslohn und Provisionen), den Nettobetrag könne er nicht nennen (pag. 234 Z. 25 ff.).
Zur Tagessatzhöhe von CHF 140.00 kam die Vorinstanz aufgrund folgender Überlegungen (pag. 186 f., S. 22 f. erstinstanzliche Urteilsbegründung; siehe auch Berechnungsblatt pag. 153):
Gemäss der Steuerveranlagung 2018 hat der Beschuldigte im Jahr 2018 ein Einkommen aus unselbständiger Erwerbstätigkeit von CHF 92'197.00 erzielt (vgl. pag. 29), was einem monatlichen Nettoeinkommen von CHF 7'683.00 entspricht. Von diesem Einkommen ist ein Pauschalabzug von 25 % für die Krankenkassenprämien und die Steuern, ausmachend CHF 1'920.75, abzuziehen, so dass ein monatliches Nettoeinkommen von CHF 5'762.25 verbleibt. Zumal die Ehefrau des Beschuldigten gemäss ihren eigenen Angaben ebenfalls ein Einkommen in der Höhe von monatlich brutto CHF 3'450.00 verdiene (pag. 135 Z 11 f.), ist deren Einkommen von netto rund CHF 3'100.00 pro Monat ebenfalls zu berücksichtigen resp. dieser Betrag bei der Ehegattenunterstützung abzuziehen. Entsprechend wird ein Unterstützungsbeitrag für die Ehefrau von 15 % von CHF 2’662.25, ausmachend CHF 399.34, abgezogen. Weiter wird ein Unterstützungsbeitrag für das erste Kind von 15 % von CHF 5'762.25, ausmachend CHF 864.34, abgezogen. Diese Berechnungen ergeben einen Betrag von CHF 4'498.58, was einem Grundtagessatz von abgerundet CHF 140.00 entspricht.
Da im Berufungsverfahren keine wesentlichen Änderungen im Nettoeinkommen des Beschuldigten und seiner Ehefrau bekannt wurden, stellt die Kammer auf die Berechnung der Vorinstanz ab, womit der Grundtagessatz abgerundet CHF 140.00 beträgt.
0.5 Vollzug und Verbindungsbusse
Unter Berücksichtigung des Verschlechterungsverbots ist die Geldstrafe bedingt auszusprechen (Art. 42 Abs. 1 StGB). Die Probezeit wird auf zwei Jahre festgesetzt (Art. 44 Abs. 1 StGB).
Die korrekten Ausführungen der Vorinstanz zur Verbindungsbusse nach Art. 42 Abs. 4 StGB (pag. 187 f., S. 23 f. erstinstanzliche Urteilsbegründung) lauten wie folgt:
Gemäss Art. 42 Abs. 4 StGB kann eine bedingte Strafe mit einer Busse nach Art. 106 StGB verbunden werden. Mit der Verbindungsstrafe soll die Möglichkeit geschaffen werden, im Bereich der Massendelinquenz eine spürbare Sanktion zu verhängen (BGE 134 IV 60 E. 7.3.1). Die Bestimmung dient in erster Linie dazu, die Schnittstellenproblematik zwischen der Busse (für Übertretungen) und der bedingten Geldstrafe (für Vergehen) zu entschärfen (Botschaft zur Änderung des Strafgesetzbuches […]) vom 29.06.2005, BBl 2005, S. 4699 ff. und S. 4705 ff.). Zudem trägt die unbedingte Verbindungsstrafe dazu bei, das unter spezial- und generalpräventiven Gesichtspunkten eher geringe Drohpotential der bedingten Geldstrafe zu erhöhen. Dem Verurteilten soll ein Denkzettel verpasst werden können, um ihm (und soweit nötig allen anderen) den Ernst der Lage vor Augen zu führen und zugleich zu demonstrieren, was bei Nichtbewährung droht (Bommer, Die Sanktionen im neuen AT StGB ein Überblick, in: Revision des Allgemeinen Teils des Strafgesetzbuches, Bern 2007, S. 35). Spricht das Gericht verbunden mit einer bedingten Geldstrafe eine Busse aus, so haben die beiden Sanktionen in ihrer Summe schuldangemessen zu sein (BGE 134 IV 8 E. 5.2). Um dem akzessorischen Charakter der Verbindungsstrafe gerecht zu werden, erscheint es sachgerecht, ihre Obergrenze grundsätzlich auf einen Fünftel beziehungsweise 20% festzulegen (BGE 135 IV 188 E. 3.4.4).
Die Kammer erachtet – in Übereinstimmung mit der Vorinstanz – das Ausfällen einer Verbindungsbusse als angezeigt. Von den insgesamt 30 Tagessätzen Geldstrafe werden 5 Tagessätze als Verbindungsbusse ausgesprochen. Die Ersatzfreiheitsstrafe bei schuldhafter Nichtbezahlung beträgt 5 Tage (Art. 106 Abs. 2 StGB). Die restlichen 25 Tagessätze Geldstrafe zu je CHF 140.00, ausmachend CHF 3’500.00, bleiben als bedingte Strafe bestehen.
Fazit Strafzumessung
Der Beschuldigte wird zu einer bedingten Geldstrafe von 25 Tagessätzen zu CHF 140.00, ausmachend CHF 3’500.00, bei einer Probezeit von zwei Jahren, sowie zu einer Verbindungsbusse von CHF 700.00 verurteilt. Die Ersatzfrei-heitsstrafe bei schuldhaftem Nichtbezahlen der Verbindungsbusse wird auf 5 Tage festgesetzt.
V. Kosten und Entschädigung
Verfahrenskosten
Fällt die Rechtsmittelinstanz selber einen neuen Entscheid, so befindet sie darin auch über die von der Vorinstanz getroffene Kostenregelung (Art. 428 Abs. 3 StPO). Die beschuldigte Person trägt die Verfahrenskosten, wenn sie verurteilt wird (Art. 426 Abs. 1 StPO). Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens tragen die Parteien nach Massgabe ihres Obsiegens Unterliegens (Art. 428 Abs. 1 Satz 1 StPO).
Zufolge seiner Verurteilung sind die erstinstanzlichen Verfahrenskosten von CHF 2'420.00 vollumfänglich dem Beschuldigten zur Bezahlung aufzuerlegen. Da der Beschuldigte mit seinen Anträgen im Rechtsmittelverfahren vollumfänglich unterlegen ist, hat er auch die gesamten oberinstanzlichen Verfahrenskosten zu tragen. Diese werden bestimmt auf CHF 3'000.00 (Art. 5 i.V.m. Art. 24 Abs. 1 Bst. a des Verfahrenskostendekrets [VKD; BSG 161.12]).
Entschädigung
Bei diesem Ausgang des Verfahrens hat der Beschuldigte keinen Anspruch auf Ausrichtung einer Entschädigung (Art. 429 Abs. 1 StPO e contrario i.V.m. Art. 436 Abs. 1 StPO).
VI. Dispositiv
Die 2. Strafkammer erkennt:
I.
A.__ wird schuldig erklärt:
der groben Verkehrsregelverletzung, begangen am 26. August 2019, 09:45 Uhr, in Kirchberg, Utzenstorfstrasse, Fahrtrichtung Aefligen, durch Überschreiten der zulässigen Höchstgeschwindigkeit ausserorts von 60 km/h um 33 km/h
und in Anwendung der Artikel
34, 42, 44, 47, 104, 106 StGB
27 Abs. 1, 32 Abs. 2, 90 Abs. 2 SVG
4a Abs. 5 VRV
22 Abs. 1 SSV
426 Abs. 1, 428 Abs. 1 und 3 StPO
verurteilt:
1. zu einer Geldstrafe von 25 Tagessätzen zu CHF 140.00, insgesamt ausmachend CHF 3’500.00.
Der Vollzug der Geldstrafe wird aufgeschoben und die Probezeit auf 2 Jahre festgesetzt;
2. zu einer Verbindungsbusse von CHF 700.00. Die Ersatzfreiheitsstrafe bei schuldhafter Nichtbezahlung wird auf 5 Tage festgesetzt;
3. zu den erstinstanzlichen Verfahrenskosten von CHF 2'420.00;
4. zu den oberinstanzlichen Verfahrenskosten von CHF 3'000.00.
II.
Zu eröffnen:
• dem Beschuldigten, v.d.Rechtsanwalt B.__
• der Generalstaatsanwaltschaft
Mitzuteilen:
• der Vorinstanz
• der Koordinationsstelle Strafregister (nur Dispositiv; nach unbenutztem Ablauf der Rechtsmittelfrist bzw. nach Entscheid der Rechtsmittelbehörde)
• dem Migrationsamt des Kantons Q.__ (nur Dispositiv)
Bern, 2. November 2021
(Ausfertigung: 2. Dezember 2021)
Im Namen der 2. Strafkammer
Der Präsident i.V.:
Obergerichtssuppleant Zbinden1
Die Gerichtsschreiberin:
Michel
Rechtsmittelbelehrung
Gegen diesen Entscheid kann innert 30 Tagen seit Zustellung der schriftlichen Begründung beim Bundesgericht, Av. du Tribunal fédéral 29, 1000 Lausanne 14, Beschwerde in Strafsachen gemäss Art. 39 ff., 78 ff. und 90 ff. des Bundesgerichtsgesetzes (BGG; SR 173.110) geführt werden. Die Beschwerde muss den Anforderungen von Art. 42 BGG entsprechen.